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7 Tage – letters to my husband

​Schlafmohn (Papaver somniferum)
Schöllkraut (Chelidonium majus)
Liguster (Ligustrum vulgare)
Kriechender Hahnenfuß (Ranunculus repens)
Stechpalme (Ilex aquifolium)
Rittersporn (Delphinium)
Fingerhut (Digitalis purpurea)

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„Du bist hysterisch!“ Mit diesem Satz zeigt Doktor Robert Dalrymple im Film „In guten Händen“ deutlich, was er und die meisten Männer des viktorianischen Zeitalters vom Temperament und den Ideen einer Frau von der Art seiner Tochter Charlotte halten. Ertragen Frauen nicht unterwürfig und zurückhaltend ihre Rolle in der Gesellschaft, sind sie überarbeitet, gestresst oder fallen anderweitig aus der Rolle, so sind sie „kaputt“, „krank“ – müssen geheilt werden. Am besten hilft da die Entfernung des Uterus. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass es sich zum einen um einen Film handelt und sich zum anderen die Zeiten geändert haben. Womit man auch teilweise Recht hätte. Frauen haben Wahlrecht. Laut Gesetz ist Diskriminierung aufgrund von Geschlecht verboten. Ich habe das Recht meine Meinung zu äußern – wann und wo ich will. Dennoch Werde ich wütend, soll ich mich beruhigen. Schreie ich, werde ich belächelt. Emotionalität, die nicht passiv ist, die nach außen dringt, macht mich in den Augen meiner Mitmenschen inkompetent oder peinlich. Wäre ich als Mann geboren und aufgewachsen, so wäre Wut Ausdruck meiner Persönlichkeit. Nur habe ich leider zwei X-Chromosomen. In ihrem Buch „Speak out! Die Kraft weiblicher Wut!“ beschreibt die Aktivistin und Autorin Soraya Chemaly das Ergebnis wissenschaftlicher Versuche zur Sozialisation von Frauen. So gilt Wut bei kleinen Mädchen noch als „niedlich“, in der Pubertät wirft sie bereits Bedenken auf und bei erwachsenen Frauen ist sie unangemessen und löst Fremdscham aus. Auch werden Wut und Aggression bei Frauen oft mit Selbstbehauptung und kritischer Denkweise verwechselt. So gelten Frauen, die sich im Berufsleben durchsetzen, meist als zickig, schwierig, inkompetent. Dasselbe Verhalten führt bei ihren männlichen Kollegen oft zu Beförderungen. Da nicht wütend zu werden ist schwierig. Doch wie äußert sich diese weibliche Wut meistens? Rachel Simmons, Autorin des 2002 veröffentlichten Buches „Odd Girl Out: Die verborgene Kultur der Aggression bei Mädchen“, beschreibt weibliche Wut als eher subtil und vorrangig psychischer Natur. Mädchen neigen zum Ausgrenzen, sie können mit subtilen Gesten und Gerüchten großen Schaden anrichten und werden dafür meist nicht zurechtgewiesen. Ein Gerücht kann man nicht so einfach beweisen wie ein blaues Auge. Gleichzeitig führen die Angst vor möglicher Ausgrenzung und sozialer Druck auch dazu, dass Wut nicht herausgelassen wird. Konflikte stauen sich so auf, entladen sich in unwichtigen Diskussionen oder führen zu psychischen Krankheiten – meist Depressionen und Essstörungen. 7 Tage. letters to my husband ist eine Auseinandersetzung mit weiblicher Wut und Aggression im Hinblick auf systematische Unterdrückung in der patriarchalisch geprägten Geschichte Europas. Dabei spielt es mit Stereotypen weiblichen Verhaltens, weiblicher Arbeit und der Angst des Patriarchats vor Bildung für Frauen. Die Frau als Giftmörderin beschäftigte Menschen schon in der Antike. Giftmord ist heimtückisch, niederträchtig, hinterhältig – eben „typisch Frau“. Bis heute wird ein Mann, der seine Ehefrau im Affekt erschlägt, nicht so hart verurteilt wie eine Frau, die ihren Mann vergiftet. Dass allein der physische Unterschied zwischen Frauen und Männern verhindert, dass eine Frau ihren Mann so leicht erschlagen kann, wird außer Acht gelassen. Im Mittelalter hatte man eine ziemlich radikale Methode, um Frauen, die sich mit Giften auskannten, loszuwerden: Man verbrannte sie als Hexen. Dass damit auch Wissen über Medizin und Verhütung verlorenging, nahm man gerne in Kauf. So gewann die Kirche ihr Monopol über Medizin und Bildung. Und wenn man gerade dabei war, Störendes zu verbrennen, konnte man natürlich auch noch ein paar Bücher hinterherwerfen. Im Laufe der Geschichte wurden Bücher immer wieder Opfer von groß angelegten Zerstörungen, geplant von Machthabern, die Angst hatten. Angst vor kritischen Gedanken. Angst vor Wissen. Angst vor mündigen Untertanen. Und Angst vor starken Frauen. Denn sie waren oft die Initiatoren von Revolutionen. Es waren hungrige Frauen, die nach Versailles gingen, nach Brot für das hungernde Volk verlangten und damit die Französische Revolution auslösten. Die Suffragetten revolutionierten das amerikanische Wahlrecht. Rosa Parks löste mit einer einfachen Weigerung die schwarze Bürgerrechtsbewegung 1955 aus. 7 Tage. letters to my husband besteht aus 21 Seiten giftigen Papiers, gebunden zu einem Buch. Für jeden Tag einer Woche steigert sich die Toxizität der gewählten Giftpflanzen. Während man an Tag eins mit Schlafmohn noch in Halluzinationen schwelgt, ist spätestens der Fingerhut an Tag sieben tödlich. Pro Pflanze gibt es drei Seiten, stellvertretend für die drei Mahlzeiten, die eine „gute Ehefrau“ ihrem Mann täglich zubereiten sollte. Die Seiten des Buches bleiben leer – wir haben gelernt unsere Wut für uns zu behalten, sie nicht zu verbalisieren. Doch sie ist da. Wut. Aggression. Verderben. Frauen, die lesen, sind gefährlich. Frauen, die schreiben, sind unberechenbar!

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